Geschichte der Bronzeglocke von 1610

Geschrieben von Bernd Wolf

Glocken haben eine große Symbolik als Verkündigerinnen von Leben und Tod in Freud und Leid. Sie begleiten die Wege der Menschen von der Taufe bis hin zum Grabe. Ihr Klang gibt vielen Menschen das Gefühl von Heimat.

Es ist bekannt, dass über Jahrhunderte drei Bronzeglocken ihren Dienst auf dem Turm der Olvenstedter St. Laurentius-Kirche versahen. Leider blieb uns bis zum heutigen Tage nur die kleinste dieser Bronzeglocken erhalten. Sie ist es wert, näher beschrieben zu werden.

Ganze Generationen rief sie mit ihrem silberhellen Klang morgens zur Schule und mittags und abends die Gemeinde zu stillem Gebet.

Daten der Bronzeglocke
Guss 1610
Gießer Heinrich Borstelmann aus Magdeburg
Dienst als Läuteglocke
Ton „h“
Gewicht 240 kg
unterer Durchmesser 75 cm
Besonderheit Darstellung des Gekreuzigten mit zwei Frauengestalten an den Seiten
Glockenspruch Aufschrift der kleinen Glocke:
ALS HIER DIE ERST PREDIGT ABGIENG
DIE DER PFARR JOHANN KOCH ANFIENG
GOSS MICH VMB HEINRICH BORSTELMANN
SOLT STVND VND PREDIGT MELDEN AN
ANNO CHRISTI 1610.

Die Tage dieser Glocke gehen sicher bis ins Reformationsjahrhundert zurück, da 1610 anscheinend mit dem alten Glockenmaterial ein Neuguss erfolgte. Wir können heute nur spekulieren, ob eventuell ein Riss den Klang der Glocke zerstörte und die Gemeinde gezwungen war zu handeln. Im Glockenspruch ist vermerkt, dass der Glockenneuguss in die Amtszeit des fünften in Olvenstedt wirkenden evangelischen Pfarrers, Johann Koch, fiel. Koch war vor seiner Zeit in unserer Gemeinde Lector canonicus im Stift St. Sebastian zu Magdeburg.

Borstelmann lebte in einer Zeit, in der die Künstler so viel Selbstvertrauen entwickelt hatten, dass sie ihre Namen nennen. Einzelpersonen sind nun über ihre Werke besser greifbar. Bis etwa Mitte des 15 Jh. fühlten sich die Künstler unbedeutend, Gott stand im Mittelpunk, der Künstler war unbedeutend. Mit Albrecht Dürer (1471 - 1528) änderte sich dies. Glockengießer waren immer viel beschäftigte Menschen. In Kriegszeiten fertigten sie für die Rüstung und in friedlichen Zeiten übten sie eben das hoch angesehene Kunsthandwerk des Glockengusses aus. Borstelmann hatte eine Werkstatt in Magdeburg und später wohl auch in Braunschweig.

Heute noch existierende Glocken aus seiner Werkstatt:

Weitere Glocken von Borstelmann
1590 Kirche in Klieken; 2 Bronzeglocken
1592 Pfarrkirche Bornum bei Zerbst
1592 Diedersdorf bei Ludwigsfelde; Inschrift: “Ich bin in Gottes namen durch feuer geflossen heinrich borstelmann zu magdeburg hat mich gegossen“
1598 St. Marien-Kirche in Stendal, eine 1400 kg Bronzeglocke, Ton „d“; mit gleichem Relief wie St. Laurentius zu Olvenstedt
1629 Stadtkirche St. Marien Celle ; 220 kg in Braunschweig gegossen
1642 Stadtkirche  St. Nicolai in Kalbe/Milde

Unsere Bronzeglocke überstand glücklich den Dreißigjährigen Krieg, da sie zeitweise in die zweite damals in Olvenstedt existierende Kirche, die St. Petri, umgezogen war. Es hieß, dass St. Laurentius ab 1630 - 1657 „wüste gelegen habe“ und sicher auch ausgeraubt bzw. geplündert war. Als nach Ende dieses Krieges friedlichere und bessere Zeiten anbrachen, erholte sich auch die Bevölkerung langsam. St. Laurentius wurde zunächst wiederaufgebaut und 1724 im barocken Stil neu errichtet. Auch unsere kleine Glocke zog an ihren alten Platz zurück.

Auch die napoleonische Besatzung in Olvenstedt, ab 21. Oktober 1808, überstand die Glocke unbeschadet. Sie musste aber mit ansehen, wie die Menschen unter den französischen Besatzern Not litten und manch Olvenstedter fliehen musste. Ab Oktober 1813 war das Läuten der Kirchenglocken untersagt. Große Freude herrschte, als die Glocken im April 1814 wieder ertönten, um den Sieg über die Franzosen und gleichzeitig den Frieden zu verkünden.

Neues Unheil brachten die Weltkriege. Auf Grund eines Gesetzes vom 01. März 1917 wurden ihre beiden Schwestern noch im Turm zerschlagen, wie es hieß, für „Vaterland und Kaiserreich“ geopfert. Bis zum Januar 1922, als zwei neue Stahlglocken das Geläut vervollständigten, wurde der gesamte Läutedienst und auch die Anzeige der flüchtigen Erdenstunden von ihr allein ausgeführt.

Im zweiten Weltkrieg griff man erneut nach den Glocken, wohl wissend, dass Glockenbronze den damaligen Rüstungsansprüchen nicht mehr genügte. Die Nazis wollten offenbar die emotionalen Bande der Menschen zu ihren Glocken trennen, da das heimische Glockengeläut vielen Menschen die Identität zu Ihrer Gemeinde gibt. Der Erlass beinhaltete, dass Glocken aus Bronze „ zur Stärkung der deutschen Metallreserve für Zwecke der Kriegsführung auf lange Sicht“ abzuliefern sind. Im gesamten Deutschen Reich sollten nur 10-12 Bronzeglocken erhalten bleiben. (Aussage von Reichsmarschall Göring)

Am 06.01.1942 wurde unsere Bronzeglocke ausgebaut, um nach Hamburg zum Glockenfriedhof transportiert zu werden. Die dortigen Arbeiter berichteten, dass schaurige letzte Töne erklangen, wenn die Glocken zerschlagen oder gesprengt wurden. Von im II. Weltkrieg ca. 80.000 eingezogenen Glocken wurden nach Kriegsende etwa 16.000 Glocken insgesamt dort und an anderen Sammelplätzen gefunden und bis 1952 an ihre Heimatgemeinden zurückgeführt.

War ihre Beschlagnahme vielleicht Schicksal? Durch den zerstörerischen Bombenangriff  am 16. Januar 1945 auf Magdeburg wurde auch St. Laurentius zerstört  und mit der Kirche fast sämtliches Inventar. Auch die zwei im Turm verbliebenen Stahlglocken stürzten herab und waren nur noch Schrott. Die Bronzeglocke aber überlebte auf dem Glockenfriedhof in Hamburg.

Im August 1950 war es dann soweit. Sie konnte von der Glockengießerei Schilling aus Apolda abgeholt werden und so wieder ihren Platz in der Glockenstube einnehmen. Seit Juni 1953 ergänzt eine Stahlglocke, welche aus der ehemaligen Dreifaltigkeitskirche Berlin stammt, unser Glockengeläut. In der Glockenstube ist weiterhin Platz für eine dritte Glocke. Die Gemeinde sammelt dafür, Spenden sind willkommen.
Ein neuer Schicksalsschlag ereilt diese Glocke 2009, als festgestellt wurde, dass sich ein ca. 35 cm langer Risses in ihrer Flanke gebildet hat. Früher bedeutete dies Einschmelzung  und Neuguss, heute ist eine Schweißung möglich.

Vielen tatkräftigen Spendern, dem Förderverein, aber auch dem Kirchspiel West, ist es zu verdanken, dass Geldmittel zur Verfügung standen, um unsere historisch wertvolle kleine Bronzeglocke wieder reparieren zu lassen. Der Glockenschweißerei Lachenmeyer aus Nördlingen ist es gelungen den Riss zu beseitigen und sie hoffentlich für kommende Jahrhunderte dienstfähig zu halten, damit sich nachkommende Generationen an ihrem silberhellen Klang erfreuen können.

Im Gottesdienst am 20. März 2011 übergab der Glockenbauer, Herr Klietz, die reparierte Glocke an die Laurentius-Kirchengemeinde.

Am 30. März gelang es den Herren Klietz, Bollmann, Hanisch und Wolf mit „ziehet, ziehet, hebt! Sie bewegt sich, schwebt“ unsere Bronzeglocke wieder an ihren angestammten Platz zu bringen. Ostersonntag 2011 wird diese Glocke durch die Kirchengemeinde wieder in Dienst genommen.

Nehmen wir diese kleine Bronzeglocke als Synonym für Frieden und Freiheit und Gottvertrauen.

Quellen

  • Geschichte des Dorfes Olvenstedt; Emil Rungwerth. 1896
  • Chronik des Dorfes Olvenstedter, Pastor Dr. Franz Johann Rieks, 1896
  • Sonderheft der Deutschen Stiftung Denkmalspflege von 2005
  • www.wikipedia.de
  • www.turmuhren-glocken.de

Weiterführende Informationen finden Sie auch im Pressebereich zum Thema Glocke.